04 Mar
04Mar


Lernen vom Camgirl in mir

Ein Gastbeitrag

Zu Anteilen hat mein Alltag schon eine ganze Weile in der Online- und Zuhausewelt stattgefunden. Seit einiger Zeit beschäftige ich mich als Künstlerin mit dem Bildschirm: dem, was aus dem Bildschirm rauskommt und dem, was in den Bildschirm reingeht. Der Raum zwischen Mir und Bildschirm ist eine eigene Welt mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und Ritualen. 

Vor 2 Jahren war ich mal ungefähr ein Jahr Camgirl. Jetzt bin ich High Class Escort mit Berufsverbot. Am Anfang der ersten Welle wurde vielfach die Verzweiflung von Sexarbeiter'innen laut, sie können die Umstellung von leiblichen Treffen auf erotische Anschau-Angebote im Netz nicht leisten. Das ist sehr gut zu verstehen. Obwohl der Beruf eines Escorts und der eines Camgirls beide zu den erotischen und sexuellen Dienstleistungen gehören, unterscheiden sie sich jedoch so viel voneinander, wie sie sich zu einer Trantramasseurin, einer Sexualassistentin für Menschen mit Behinderung, einer Stripperin oder einer Bordellhure unterscheiden.

 Ich will in diesem Text berichten, was für eine spezielle emotionale Choreografie  CamSex@home bedarf. Für mich wird die Zeit, in der ich als Darstellerin Rarrr mit #hairypussy und #ecstaticdancing und Würfelspielen, in denen ich mit dem Zeigen erwürfelter Körperteile als aktivem Anschauungsmaterial Geld verdiente, gerade wieder zur lebendigen amüsierten Erinnerung. Ich will erzählen, worin diese Arbeit für mich bestand und wie ich nach dem Aufhören und Beginn eines Berufs mit Berufsverbot trotzdem nicht wieder dahin zurückkehrte, sondern einzelne freigesetzte Zuhause-Strategien mir auch bei anderen Verrichtungen in der Pandemie helfen sollten. 


Vielleicht sind es erst mal Sachen, an die mensch gar nicht so denkt. Ich stand gerne früh auf und machte die Kamera an. Dann spielte ich meine Lieblingsmusik. Meist treibende Beats, meist trappiges, wenn ich eher faul war  Lo-fi, wenn ich aufdrehte auch Nina Simone oder Rock'n'Roll, Klezmer aber gerne auch Lieder wie „Money“ von Leikely47, die explizit das Thema formulierten. Ich mochte von der Haltung diese bitchy bossy Tracks; vor einem halben Jahr hätte ich wahrscheinlich Haity – Sweet gespielt. Damals viel Princess Nokia oder Zebra Katz. Wenn ich traurig war ... auch Trauriges. Ich kurvte um meine Zuschauer und versuchte jeden irgendwo einzuholen und zog mich ein bisschen dabei aus. Wie eine ganz besondere Morning-Radio-Show. Morgens hauptsächlich Stretchen. Leichte Tanzschritte, eher beiläufig sexuell. Es war wahnsinnig sinnig meine Glieder zu strecken und zu recken und dabei Komplimente für mein Antlitz einzuheimsen. Eine Art Ego-Stretching auch. Es ist 6 Uhr morgens, im Chat ist viel los aber nicht zu trubelig. Zahlungswillige und freundliche Kunden. Häufig wirkt es wie Geschäftsmänner, die sehr früh vor der Arbeit noch ihren Sehnsüchten nachgehen. Viele Menschen, die mir einen Guten Morgen wünschten. 


Es gibt Situationen in meinem Leben, die ich nur noch mit lauter Musik lösen kann. Und es gibt Situationen in meinem Leben, die ich nur noch um 6 Uhr morgens lösen kann. Umso mehr, seitdem ich wieder mehr schreibe und insbesondere seit der Pandemie. 3 laute Lieder meist, die sich tagsüber immer wieder wiederholen, sich mir und anderen mitteilen. 

Momentan schreibe ich viel. Als Camgirl habe ich eigentlich auch viel geschrieben. Es war alles sehr chatintensiv. Hin-und hergeworfene Worte mit Fremden. Oft schrieben sie mir Nachrichten in die Postbox. Manchmal entsponnen sich lange sehr explizite Gespräche... 

Es gibt dort so was, wie ehrenamtliche Moderatoren. Sie begleiten dich durch deinen Alltag, schreiben dir „Guten Morgen Prinzessin“ in die Postbox und „Gute Nacht schöne Frau, ruh dich gut aus. Es war ganz toll heute.“ So oder so ähnlich. Sie helfen dir Angebote in deinem Chat anzupreisen, die Stimmung anzuheizen und unliebsame User aus dem Raum zu bannen. Sie kennen sich untereinander oft schon seit Jahren. Einer dieser Moderatoren lullte mich, neben der Arbeit für alle, in einem Privat-Chat immer öfter mit obskuren Sci-Fi-S/M-Fantasien ein, die mich sprachlich als Autorin sehr faszinierten und die mich zudem - es ist fraglich als welche Person - sehr erregten. Ich bat ihn etwas zu schreiben und er legte los, wann immer ich wollte. Es war von monströsen Fickmaschinen die Rede, aber auch von von einer Heerschar eines bestimmten Menschenschlages, den ich vergessen habe und ein Richter war auch anwesend. Es begeisterte mich so sehr von dieser Fantasie erotisch und auf meine Reaktionen abgestimmt in immer neue Welten getragen zu werden – auch wenn ich für das Sci-Fi-Genre bisher noch nie Gefühle hegen konnte. Irgendwie brachte er mich da auf erregtem Wege rein, überzeugte mich sprachlich – was selten passiert - und entführte meine verwirrten Sinne, so dass ich Neugier für den Menschen dahinter entwickelte… Manchmal schrieben wir auch über seine oder meine Situation. Ich wusste, dass er mit seiner Mutter in einem Haus zusammenlebte und sich um sie kümmerte. Oder sie sich um ihn? Als er mich eines Nachmittags einlud in seinen Cam-Chatraum mit der angeschalteten Kamera zu kommen, konnte ich meinen Augen kaum trauen. Er saß in diesem Zimmer, hörte laut Schlager und stieß laute Töne und unbändiges Lachen aus. Ich hatte Schwierigkeiten das alles zusammenzubringen. Beim Anschauen von ihm hatte ich den Eindruck, er könne vielleicht gar nicht so einwandfrei sprechen? Er machte eher wirklich nur Laute und kommentierte das Geschehen als hätte er 20 Bier intus oder sei geistig einfach ein bisschen woanders. Es war ein Wunder, das etwas verriet: Das bloße Antlitz einer Person kann sehr stark täuschen. So stark hatte ich es bisher noch nie wahrgenommen. 



Es erzählt mir jetzt auch, dass die frühen Morgen- oder die späten Arbeitsstunden fleißig sein können. Aber das kann auch weich ablaufen. Ich Glückspilz, dachte ich damals. Ich kann tanzen, meinen Körper spüren und eine gewisse Schönheit genießen, an der andere teilhaben können und damit verdiene ich ein wenig Geld. Viel war es auch nicht unbedingt immer. 

Manchmal auch gar nichts. Das ist das Jobrisiko. Manchmal kommt einfach keiner vorbei, der zahlen will. Und dann habe ich trotzdem getanzt. Es wertet sich nicht ab dadurch. 

Als Autorin hätte ich mir manchmal gewünscht einfach weiterzuschreiben, nachdem Menschen meine Texte abgelehnt haben. Einfach immer weiter schreiben, einfach immer weiter tanzen. Das nehme ich mit rüber in die Pandemiezeiten: Seine eigenen Flüsse schaffen. 


Es ist irgendwie auch ein beruhigendes Gefühl, wenn einen alle nackt kennen. Das, was sonst intim verborgen manchmal schamvoll wirken kann, entfaltet sich intim herausgekehrt wie eine Multiplizierung intimer Befreiungsgefühle. Es ist eine Welt, die sich nur dem sexuellen Trieb fügt und nicht umgekehrt. Viele User bleiben treu. Es ist eine ganz besondere Beziehung, die sich da entwickelt - wie eine Menge stabiler Affären. Treu meinem Arsch, der vielmals offen bekundet, natürlich der allerschönste ist. Das ist eine Treue, die ich sehr gut aushalten kann. 

Im freien sexuellen Raum ist eben das das Ausschlaggebende: Die Lust. Alles formiert sich um sie herum. Wenn frau einmal von sich abgestreift hat, dass es schlimm oder verwerflich ist, wenn fremde Männer auf dem eigenen Antlitz masturbieren, ist eigentlich nichts mehr schlimm oder verwerflich. Das klingt so negativ. Es ist aber eigentlich sehr sehr positiv. Es ist eine freie Sprache, die sich da durch den Chat formiert. Weil ich sie als eine Art Medium und Impulsgeberin auch steuere und Unliebsames eliminieren lasse, ist es ein sehr geschützter Raum. Damals...ich traue mich das kaum zu denken. Vor Corona war dieser Onlineraum für uns eine Freiheit von allem mit Bedeutung. Ein purer Kunstgenuss, Freude am Dasein und das Genießen davon jemanden mit Gesicht, Charakter und Impulsen direkt sexuelle Dinge sagen zu können und zu sehen durch die Cam, wie diese Person schmelzen kann. Schmelzen vor Worten.


Der Raum vor dem Bildschirm ist ja eigentlich erweitert. Wenn ich vor ihm auf dem Bett liege und masturbiere oder ihn auf eine kleine Kiste stelle und mich auf dem Boden räkele. Ob ich eine Kerze nebendran anmache oder die richtige Musik aus den Boxen läuft wie magisch. 

Erotische Energien sind ein Übertragungsfaktor für Inhalte, die uns aufwühlen können, besänftigen oder durch eine andere Stimmung leiten. Es gibt viele beglückende Wege und Umwege vor dem Orgasmus. Ich ergötzte mich damals an #anziehpornos. Ich wollte einfach ausprobieren so erotisch wie möglich Kleidungsstück für Kleidungsstück wieder anzuziehen, von der Nacktheit aufzuerstehen. 

Als Performancekünstlerin war es für mich ein Traum durch die Erotik meinen Stimmungen und Widerhaken Ausdruck zu verleihen. Ein sehr dankbares Publikum. Irgendwann mal nahm ich sie heimlich mit auf eine Live-Performance und ließ die Zuschauer'innen vor Ort den Live-Chat verfolgen und den Musikmix mitbestimmen, auf den ich tanzte im Paillettenkleid, das sich regenbogenfarben auf den Kacheln spiegelte und den ganzen Raum wie eine Diskokugel ausstattete. Das war lange vor Corona...als es noch Live-Publikum gab. 


Aber die spezifische und die Live-Welt anlockende Online-Welt ist verbogen. Niemals sollte ein Escort im Berufsverbot deshalb ein Camgirl werden müssen. Es wird anderes gesucht und anderes gefunden . Wenn sich die Live-Welt so massiv verschiebt und limitiert, kann das kein unbedingtes Ausbreiten auf die Online-Welt bedeuten. Vieles muss dort neu gelernt werden. Wir können es uns neu aneignen, falls es uns Spaß machen sollte. Und wir können auch etwas herübernehmen aus der Vor-Corona-Online-Erfahrung als eigene Welt. 

Vielleicht, dass es möglich ist eine ganz eigene intime Welt vor dem Computer aufzubauen. Ich denke, dass die Freiheit Fetische auszuleben oder besonderen Bedürfnissen nachzugehen online erstmal leichter möglich ist. Sich erstmal anschauen geht immer. Es lässt sich wieder wegklicken. 

Wegklicken – auch das war für mich ein mächtiges Tool. Wenn mir jemand blöd kam, konnte ich ihn für immer aus meinem Raum bannen. Eine heilsame Fantasie, die bestimmt jede Frau schon mal hatte: Du verstößt gegen meine Regeln? Klick und weg, für immer... 

Gleichzeitig bezahlte ich in dieser Zeit auch ab und zu Männer für PrivatCam-Minuten. Es war ein Genuss ihnen zu sagen, was sie zu tun hatten. Es war schön, wenn sie Grenzen formulierten. Es war schön, wenn sie auch mal in der Position waren, einmal auch die Bitch zu sein. Dieser Machtwechsel kann sehr anregend sein. Ich mochte es, wenn sie mit mir sprachen und ich ihnen Anweisungen schrieb und sie mit Komplimenten überhäufte. 

Nun bin ich gerne nur für bestimmte Gelegenheiten sehr teuer sehr berührbar und sonst sehr unberührbar. Ich genieße dafür privaten Sex. Meine Chefin nennt es höhnisch „Gratissex“. Ich finde es ist einfach nur etwas sehr Elementares. Etwas tolles, spannendes und wichtiges. Wenn jemand bestimmtes in mir ist, weiß ich wirklich nicht, was ich sonst noch im Leben brauche. Ich verstehe nicht wieso sich unsere Gesellschaft nicht viel bewusster frei auf diese wertvolle Möglichkeit im Leben ausrichtet. Es macht mich traurig... 

Also empfehle ich banale Dinge. Sowas wie Pornos gucken. Aber gute.... sich Vibratoren kaufen und den Stimmungen freien Lauf lassen. Mal was dazu aufschreiben, mal was davon erzählen. Mal was davon Gestalt werden lassen. Es hat eine erzählerische Kraft.


Rahel Kaléko, 32




Header &  Foto by John Rocha